Raymond Unger

Grundzüge des transgenerationalen Kriegstraumas –

Raymond Unger präsentierte uns eine Mischung aus Vortrag und Lesung seiner Triologie: „Die Wiedergutmacher“, „Vom Verlust der Freiheit“ und „Die Heldenreise des Bürgers“.
Einleitend stellte er die Frage: Wie reif ist eine Gesellschaft, die angegriffen wird? Er konstatierte, dass unsere Gesellschaft auf Angriffe verschiedener Agenden – Pandemie, Krieg, Klima – mit Angst reagiert hat. Wie sehr sie diesem Gefühl unterliegt, ist ein Grad für Resilienz bzw. Erwachsensein. Das Deutschland, in dem Angstnarrative besonders gut funktionieren, sich als Champion jeglicher Maßnahmen erwies, erklärte er u.a. mit der transgenerationalen Weitergabe des Kriegstraumas an die nachfolgende Generation.

Er unterschied Schock- und Entwicklungstrauma und erklärte die Erziehungsmuster empathiegestörter Eltern. Nach dem 2. Weltkrieg gab es in fast jeder deutschen Familie traumatische Schockerlebnisse. Erinnert sei u.a. an die vielen Kriegstote und die Flüchtlinge aus Ostpreußen. Eine Aufarbeitung war damals nicht möglich bzw. erwünscht. Über das Verhalten der kriegstraumatisierten Eltern zu ihren Kindern, der Baby-Boom-Generation, wurde das Schocktrauma als Entwicklungstrauma weitergegeben. Es „fehlt der Glanz in ihren Augen“ und reduzierte sich sachlich auf Elementarbedürfnisse. Das Kind wurde in seinen Emotionen nicht gespiegelt, was für eine gesunde Entwicklung unbedingt notwendig ist. Es fühlt sich verlassen, nicht liebenswert und reagiert mit Scham über seine Wertlosigkeit. Weil es jedoch nicht alleine leben kann, hält es das System aufrecht und projiziert die Schuld auf sich. Ein Verhängnis beginnt: Scham – Angst – Aggression.
Der leichteste Weg, dem zu begegnen ist die Projektion. Hier wird die eigene Schuld/Scham auf andere übertragen, um die eigenen Gefühle nicht fühlen zu müssen. sich dabei zu erhöhen, Macht zu gewinnen oder/und es erfolgt eine Überlagerung durch narzistische Kompensation (Ehrgeiz, Karriere). Der sich daraus entwickelnde autoritäre Charakter führe zu faschistoiden Denkmustern (schwarz/weiß, gut/böse). An die Hebel der Macht gekommen, entwickelt sich Hypermoral als politisches Machtmittel und wird zur Ersatzreligion. Der „Gut-Mensch“ ist geboren.
Kann ein Mensch, der Angst hat und sich dadurch unsicher fühlt, wirklich „Gut“ sein?

Eine besondere Bedeutung für diese Entwicklung in Deutschland spielt der Kollektivschuld-Gedanke. „Alle“ Deutschen sind schuld an den Verbrechen Nazi-Deutschlands. Sogar die Kinder und Kindeskinder. Viktor Frankl, ein KZ-Überlebender Psychoanalytiker, warnte davor, Kollektivschuld als politisches Machtinstrument zu benutzen. Unger stellt die Frage: Warum begann die Aufarbeitung des 3. Reiches erst 2008? Die aus der Geschichte resultierenden Schuldgefühle lassen Deutschland zum gehorsamen Vorreiter von meist im Hintergrund laufender oligarchischer Interessen fungieren. „Wenn Politiker zu Ideologen mutieren und Journalisten zu Aktivisten ist dass das Ende der Freiheit.“
„Die Heldenreise des Bürgers“ sieht er nicht als klassisches Heldentum, sondern als ein Prozess der „Selbstwerdung“des Bürgers und erkennt darin „einen Schlüssel zum sozialen Frieden“.

Unger betont: Nicht jeder Deutsche hat ein transgeneratives Trauma. Entweder hatte er ein gesundes Elternhaus, oder er hat den Schmerz aufgearbeitet. Ein projizierender Mensch hat Schatten, die er in den Anderen sieht, nur nicht bei sich selbst erkennt. Das ist eine der Möglichkeiten, mit der Heilungsarbeit anzusetzen.

Raymond Unger ist selbst auf der Reise: er durchschritt eine umfangreiche medizinische Ausbildung, arbeitete als Therapeut, entwickelte sich zum Bildenden Künstler und schließlich zum Autor – alles sich wechselseitig bedingend im Einklang mit einem klassisch, humanistischen Bildungsideal, welches die ganzheitliche Entwicklung einer Persönlichkeit anstrebt.

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